Mein letzter Wille

erschienen im „First“

 

1. Die existenziellste Frage meines Lebens lautet: „Wer bin ich?“ Wenn ich beim Gedanken an meine letzte Stunde darauf mit „Ich werde geliebt“ antworten kann, ist alles gut und ich kann sehr dankbar sein. Bis dahin habe ich noch viel zu lernen: Die Liebe zu anderen, die Liebe zum Leben und die schwierigste Liebe: die Liebe zu mir selbst.

2. Die gute Fee hätte kein Problem mich zu verführen, ihr meine geheimen Wünsche zu verraten, z. B.  ein Jahr um die Welt zu reisen und darüber einen Roman zu schreiben, der die Menschen zum Weinen und zum Lachen bringt.

3. Die letzte Stunde ist keine Bilanz im Erreichen von Eitelkeiten, sondern die Summe der Antworten auf Frage „Habe ich das Beste aus meinem Leben gemacht?“

4. Das Leben ist eine Aneinanderreihung von Möglichkeiten, die wir nutzen oder vergeben können. Es gibt leider eine negative Kraft, die uns oft daran hindert, einen Blick zu erwidern, aus dem mehr hätte werden können. Oder einem Menschen, der uns wichtig war, das zu sagen, was uns schon lange auf der Zunge lag.

5. Ein Tag hat viele Leben. Doch wie viele dieser hundert möglichen Leben verpasse ich? Wegen meiner Hoffnungen, denen ich selbst oft keine Chance auf Erfüllung gebe, oder aus Angst das Unmögliche zu wagen.

6. Wie würde ich die weißen Seiten in meinem Leben weiterschreiben, wenn ich wüsste, dass alles, was ich heute beginne, auch tatsächlich gelingen würde?

7. Mein Leben ist unendlich kostbar – und es gehört mir. Ich habe alles Recht der Welt, mir diesen Besitz von niemand streitig machen zu lassen, und jeden Versuch zu unternehmen, es nach meinen eigenen Maßstäben und auch Träumen zu leben.

8. Die letzte Stunde ist ein ehrlicher Begleiter, der mir immer wieder helfen kann, meinen Blick auf das zu richten, was ich schon richtig gemacht habe: jeden Tag mit Dankbarkeit zu beginnen, andere zu bestärken, einfach ein bisschen ein besserer Mensch zu sein.

9. Am Ende des Tages stehen zwei Sätze, die auszusprechen mich ein Leben lang viel Mut gekostet haben: „Bitte halte meine Hand“ und „Ich liebe Dich“.

10. In der letzten Stunde kann ich die Maske abnehmen, hinter der ich mich oft mein Leben lang verborgen habe. Dort begegne ich nur mir selbst. Alles, was war, was ist und was kommt, wird sich in diesem Augenblick verdichten. Am Anfang war die Finsternis. Und am Schluss muss sie nicht sein.