Der zerbrechliche Manager

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Baumstämme sind nicht leicht zerbrechlich. Menschen schon. Das gilt auch für Manager.  Gar nicht so wenige Manager zerschellen mit ihren Autos an Bäumen. Offiziell sind das meist Unfälle, das sichert die Lebensversicherung für die Hinterbliebenen. Wir kennen aus den Medien die extremen Fälle von Männern in Japan, die ihrer Familie den Jobverlust jahrelang verschweigen, jeden Morgen pünktlich das Haus verlassen, um den ganzen Tag auf der Straße zu verbringen und abends zurückzukehren und aus dem Büro erzählen. Wenn alle Ersparnisse verbraucht sind, enden diese Geschichten manchmal sogar tragisch im Suizid. Das alles aus Scham, der Familie die Wahrheit zu sagen.  Das passiert zunehmend nicht nur in Japan sondern auch bei uns in Europa.

Wir verdrängen generell gerne, dass in der EU  in Summe weniger Menschen durch  Straßenverkehrsunfälle,  Gewaltverbrechen und HIV sterben, als durch die eigene Hand. Jährlich begehen 58.000 EU-Bürger Selbstmord. Sie werfen sich vor Züge, sie erschießen sich, sie hängen sich auf, sie vergiften sich, sie schneiden sich die Pulsadern auf, sie springen von Brücken. Wenn Sie jetzt darüber nachzudenken beginnen,  wieviele Menschen in ihrem Bekanntenkreis durch Unfälle und wieviele durch Selbstmord gestorben sind, werden Sie vielleicht erschrecken. Stellen wir uns der Frage, wie groß der Eisberg an seelischen Verletzungen unter Managern ist.

Natürlich führt nicht jede Benachteiligung, jede Ungerechtigkeit, jede Kündigung zu einem Suizid. Wir sterben auch nicht gleich, wenn wir uns einmal in den Finger schneiden und ein bisschen bluten. Es ist der Mechanismus, der dahintersteckt, der Menschen zunehmend  zu potentiellen Tätern und zu Opfern in Unternehmen macht, die einander belauern. Gerade Spitzenmanager sind hochintelligente Wesen mit guten Antennen für atmosphärische Änderungen in ihrem Umfeld. Sie sind wachsam, wenn ihre Mitarbeiter beginnen abschätzige Bemerkungen über sie zu machen. Zu oft haben Sie erlebt, wie aus einem professionellen Exekutor einer  Reorganisation selbst ein Opfer wurde. Die Revolution frisst auch in der Wirtschaft ihre Kinder. Executive Coach Claudia Daeubner beschreibt dieses Klima: „Die Zerbrechlichkeit drückt sich dadurch aus, dass Manager heute viel rascher angreifbar und  ersetzbar sind. Hatte ein Manager früher eine bestimmte Position erreicht, konnte er kaum  mehr “abstürzen”, solange er sich nichts zu Schulden kommen ließ. Das ist heute ganz anders.“

Wenn die Seele „Hilfe“ schreit

Nimmt man einem Menschen, der sein ganzes bisheriges Leben erfolgreich dafür verwendet hat, eine bestimmte Position zu erreichen, diese weg, dann verliert er nicht nur den Titel auf seiner Visitenkarte, sondern den für ihn wesentlichen Teil seiner Identität. Die Ahnung, dass er die Wertschätzung im Leben nicht seiner Person, sondern seinem  beruflichen Status und der damit verbundenen Macht verdankt, wird plötzlich Wirklichkeit. Die Flut an Einladungen reißt ab und „Freunde“ haben auf einmal keine Zeit mehr für ein Treffen. Das löst einen heftigen inneren Protest aus. Die Art, wie er die Welt bisher gesehen hat, stimmt plötzlich nicht mehr. Es dringt etwas Fremdes von außen in ihn ein, das nicht zu ihm gehört. In diesem Augenblick wird der scheinbar sichere Schutzmantel, auf den er vertraut hat, weggerissen. Die Illusion der Unverwundbarkeit wird zerstört.  Besonders Menschen, die meinen, dass sie in ihrem bisherigen Leben alle Probleme immer in den Griff bekommen haben, tun sich ungemein schwer, zu akzeptieren, dass ihnen etwas widerfahren könnte, dass sie so tief in ihrer Persönlichkeit erschüttert. Irgendwann erkennen sie, dass alle bewährten Krisenbewältigungsstrategien der Vergangenheit auf einmal nicht mehr wirken.

El Cid auf der Couch

Der Anteil von Männern in Führungspositionen, die zu Psychotherapeuten geht, ist in den letzten Jahren exponentiell angestiegen, die meisten kommen mit starken Angstgefühlen: Angst, dass der aufgebaute Status in der Firma weg sein könnte oder das hart erarbeitete Vermögen zu verlieren.  Das hängt auch mit den Vorbildern, mit denen sie aufgewachsen sind,  zusammen.

Männliche Helden dürfen alles: Von Pfeilen durchbohrt, von Kugeln getroffen oder von Schwertern durchbohrt werden. Nur eines dürfen sie nicht: Zeigen, dass sie getroffen sind und Schmerzen haben. Am besten sind die Helden, die gar nicht merken, dass sie tödlich verwundet sind und einfach weiterkämpfen. Das unerreichbare Vorbild ist der spanische Held El Cid, der sogar noch als Toter, ans Pferd gebunden, seine Feinde besiegte. So wird man unsterblich. Männer müssen im Augenblick der Verletzung vor allem eines  lernen: Sich selbst zugestehen, dass sie verletzt wurden – und zwar nicht erst dann, wenn das Blut das Hemd durchtränkt. Das erlaubt ihnen,  Gefühle wie Traurigkeit und Schmerz  zuzulassen, ohne sich dabei als wehleidige Weicheier zu empfinden.

Für die Frauen in Führungspositionen liegt die Falle im Umgang mit Verletzungen oft darin, dass sie diese in ihrem Innersten als Bestätigung für ihr durch ihre Erziehung verursachtes ohnehin angeschlagenes Selbstwertgefühl sehen. Dieses Muster ist völlig unabhängig davon, wie erfolgreich sie im Leben tatsächlich sind. Der erste und wichtigste Schritt  für Frauen, aus der Selbstverletzung zu kommen,  ist, sich selbst einzugestehen, dass sie es müde sind, Dinge nur deshalb zu tun, um die Erwartungen anderer zu erfüllen.  Der zweite Schritt besteht darin, sich mit aller Kraft Freiräume im Alltag zu erkämpfen, um sich überhaupt wieder spüren zu lernen und nicht nur zu funktionieren.

Was Sieger von Verlierern unterscheidet

Der Satz „Erkenne Dich selbst“ zielte in der Antike auf die Einsicht in die Begrenztheit des Menschen und als Warnung vor der Überschätzung individueller Möglichkeiten. Bei den Triumphzügen durch Rom stand hinter dem siegreichen Heerführer ein Sklave, der einen goldenen Kranz über das Haupt des Siegers hielt und ihm dabei die Worte zurief: „Vergiss nicht, dass du nur ein Mensch bist!“ Wie hilfreich wäre dieser Brauch wohl für Jürgen Schrempp gewesen, statt ihn für seine Allmachtsfantasien einer Fusion von Daimler-Benz mit dem US-Massenerzeuger Chrysler 1998 als „Manager des Jahres“ zu feiern. In seiner Amtszeit verbrannte der Konzern mindestens 60 Milliarden Euro, und innerhalb kurzer Zeit fand Schrempp sich 2003  als „Schlechtester Manager“ des Jahres wieder. Ein selbstkritischer Satz von ihm ist nicht bekannt. Er wurde zu einem Symbol für die Demontage der Supermanager, die sich mit dem moralischen Totalversagen der Finanzbranche seit 2008 ständig beschleunigt hat. Ich wäre dafür, den ersten, der den Satz „Es tut mir leid. Ich habe etwas  falsch gemacht.“ über die Lippen bringt, zum „Manager des Jahres“ zu machen. Bisher fand sich keiner.

Das Schicksal kann man weder  abschaffen noch durch administrative Maßnahmen ersetzen, wie das manche Sozialbürokraten glauben. Auch in Unternehmen wird es immer Kündigungen, Kränkungen und Ungerechtigkeiten geben. Ein Leben ohne Verletzungen kann es nicht geben. Verletzungen gehören sogar zu den stärksten Antriebskräften in unserem Leben. Müsste ich den Unterschied zwischen Menschen, die an Verletzungen zerbrechen und jenen, die daraus große Fähigkeiten entwickeln können, in drei Worten zusammenfassen, dann wäre es folgendes Prinzip: Selbstverantwortung statt Fatalismus  Egal wie tief, egal wie oft, egal wie ungerecht Sieger verletzt wurden, sie fühlen sich nicht als ohnmächtige Opfer. Sieger leiden sicher nicht weniger als Verlierer an Niederlagen aber sie fühlen sich immer als für ihr Leben selbst verantwortlich. Sie suchen im Ernstfall nicht den Schuldigen sondern den Neuanfang. Diese Fähigkeit zur Resilienz ist teilweise angeboren, wir können sie aber auch lernen. Resilienz ist einBegriff aus der Baukunde und beschreibt die Biegsamkeit von Material. Resiliente Menschen lassen sich biegen, aber nicht brechen, sie gedeihen trotz widriger Umstände – wie Schilf in einem Sturm.

Dr. Andreas Salcher ist Unternehmensberater, Bestsellerautor und als scharfer Kritiker unseres Schulsystems bekannt geworden. Er ist Mitbegründer der „Sir Karl Popper Schule“ für besonders begabte Kinder. 2009 wurde er zum „Autor des Jahres“ und „Kommunikator des Jahres“ gewählt.