Drei Fragen an V. E. Frankl und einem Antwortversuch von Dr. Edgar Falkner-Groier

Jugend und Bildung:

Mobbing an Schulen, Drogen und Mediensucht unter jungen Menschen werden zunehmend Themen. Wie können wir diesen Phänomenen begegnen?

 

Antwort:

So wie eine Pflanze vom ersten Auskeimen bis zu ihrem Absterben unaufhörlich wächst, und so wie ein Tier von seiner Geburt bis es stirbt unaufhörlich seinem Instinkt folgt, so unaufhörlich folgt der Mensch vom Beginn seiner Existenz bis zu seinem Tode einem Sinnanruf. Dem Menschen ist es angeboren, ein sinnvolles Leben leben zu wollen. Gelingt dies nicht, wird sein Bedürfnis nach Sinn frustriert, so entwickeln sich manch sinnwidrige Phänomene, wie Gewalt, Sucht und psychische Erkrankungen, allen voran die Depression. Gerade junge Menschen brauchen in der Entwicklung ihrer angeborenen Sinnorientierung zu deren Entfaltung Unterstützung, die sie aber aufgrund der vorfindlichen Bedingungen nicht erhalten, ja vielfach darin sogar behindert und fehlgeleitet werden. Vorbilder fehlen oder werden als solche nicht beachtet, und die Verführung zu egozentrisch-konsumistischer Lebenseinstellung wird durch eine fehlgeleitete Wirtschaft noch zusätzlich verantwortungslos forciert. Eine einseitig auf Nutzwert ausgelegte Bildung entlässt den Menschen zwar „wirtschaftsfit“ jedoch „sinnhilflos“ in sein bevorstehendes Leben. Eine Bildungsreform, die diesen Namen verdienen möchte, kommt um diese Thematik nicht herum, will sie nicht zur Farce verkommen. Unsere Jugend hat nicht unbedingt ein Recht auf einen persönlichen Computer in der Schule sondern ein bedingungsloses Anrecht auf ein sinnorientiertes Geleit ins Leben. Kommen wir diesem Auftrag nicht nach, machen wir uns an unserer Jugend im speziellen und am Menschen im allgemeinen existenziell schuldig. Und wenn jede Generation ihren eigenen Holocaust hat, so zählt dieses Versäumnis – oder besser gesagt: Verbrechen – an unserer Jugend durchaus dazu. Um eine Wende einzuleiten, bedarf es der Reifung des Einzelnen zum sinnorientiert lebenden Wesen. Denn nur Sehende können junge Menschen in der Förderung ihrer Sehfähigkeit anleiten.

 

Politik:

Religiöse Diktaturen versinken in der Gewalt, säkulare Demokratien stecken ernsthaft in der Krise. Was läuft falsch?

 

Antwort:

Demokratie heutiger westlicher Ausprägung ist nicht das Gegenteil von Diktatur. Sie hat sich bloß des Diktators entledigt und steht jetzt führungslos da, was sich in dem Maße katastrophal auszuwirken beginnt, in dem physisches Überleben, vorwiegend nach weitreichenden kriegerischen Auseinandersetzungen zunehmend nicht mehr im Zentrum der Orientierung der Gesellschaft steht. Was in dieser Situation unabdingbar gelingen muss ist der Schritt von außengeleiteter, autoritärer Führung der Massen hin zu innengeleiteter, eigenverantwortlicher Sinnorientierung des Einzelnen. Erst dann kann wahre Demokratie (alle Macht geht vom Volk aus) gelingen. Derzeit verkommt sie zur populistischen Verwaltung psychischer Befindlichkeiten des Volkes und der egozentrischen Orientierung des Einzelnen. Demokratie braucht reife, selbsttranszendente, am Sinn orientierte Bürger, damit sie vom bloßen Verwalter zum demokratischen Gestalter werden kann. Populismus und der Ruf nach dem „starken Mann“ sind Zeichen mangelnder selbsttranszendenter Sinnorientierung der Menschen. Dieser Reifung des Einzelnen zum demokratiefähigen Wesen müssen heute alle Anstrengungen gelten, wenn Demokratie Zukunft haben will.

 

Wirtschaft:

Die Lohnschere geht immer weiter auseinander und Burnout wird zur Volkskrankheit. Was läuft falsch?

 

Antwort:

Ein egozentriertes, ausschließlich am Zweck ausgerichtetes, sinnloses Konkurrenz- und Wachstumsprinzip muss zwingend und unausweichlich in diese Situation hineinführen. Der Mensch wird ausschließlich als austauschbarer Nutzwert und die Umwelt als ausbeutbare Ressource betrachtet. Die Folgen dieser sinnwidrigen, weil auf Gewinner und Verlierer basierenden Haltung sind unabschätzbare materielle, finanzielle, soziale, psychische und gesundheitliche Schäden. Die von der Wirtschaft so beschworene Kreativität des Menschen verkümmert unter diesen stress- und angstbesetzten Umständen. Was es hier braucht, sind wiederum über den eigenen Vorteil hinausblickende und am Sinn orientierte Menschen, sowohl in Führungspositionen als auch als Mitarbeitende. Kooperation und das Gefühl der Zugehörigkeit zu sinnorientiert agierenden Teams und Unternehmen fördern Kreativität und Freude an der Arbeit, eine unschätzbare Basis nicht nur für körperliche und seelische Gesundheit (Burnout-Prävention) sondern auch für wirtschaftlichen Erfolg. Um zu solcher Einstellung zu gelangen, braucht es eine Reifung des Menschen zu einem gesamtverantwortlichen Wesen, das über den eigenen Tellerrand hinausblickt und Mitmensch und Umwelt gleichermaßen einbegreift. Dann werden auch Rahmenbedingungen geschaffen werden können, die die Arbeit vom reinen Nutzwert entkoppeln und in den Dienst selbsttranszendenter, sinnorientierter, kreativer und damit prosperierender Lebensweise stellen.

 

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Frage an V. E. Frankl und ein Antwortversuch von Mag. Harald Michenthaler

 

Was kann jeder einzelne von uns und wir als österreichische Gemeinschaft tun, um einen sinnvollen Beitrag zu leisten, die dringendsten von uns Menschen verursachten Probleme auf dieser Welt (Krieg, Hunger, soziale Ungerechtigkeit, Umweltverschmutzung etc.) zu reduzieren oder gar endlich zu lösen?

 

Hervorragende Frage! Österreich zählt tatsächlich zu den gesellschaftlich und wirtschaftlich hochentwickelten Demokratien der Erde und hat es zu erheblichem Reichtum und Wohlstand gebracht.

Es bedarf allerdings einer verstärkten Bewusstmachung unserer Verantwortung. So wie es für jeden einzelnen Menschen für ein gelungenes Leben unumgänglich ist seine höchstpersönliche Verantwortung zu tragen, ist es auch unerlässlich, dass in einer Gemeinschaft jeder einzelne seine persönliche Verantwortung entdeckt und erfüllt. Wir haben die Freiheit uns für oder gegen unsere Verantwortung zu entscheiden.

Die Beobachtung tausender Patienten hat mir gezeigt, dass das Leben in jenem Maße zur Qual wird, indem sich die Person gegen diese Verantwortung entscheidet hat und im gleichen Ausmaß leidet die Gemeinschaft.

Die Verantwortung wird mit Hilfe des persönlichen Gewissens erahnt, entdeckt und gelebt. Es intendiert verlässlich das je Sinnvolle, das Bestmögliche für die Person selbst und deren Umfeld in einer ganz konkreten Lebenssituation.

Wenn dieser Grundsatz erfüllt ist, ist die Tat sinnvoll, steht für Verantwortung und gelingendes Leben sowohl für den Einzelnen, wie auch für die Gemeinschaft.

 

Die Welt ist nicht heil, aber heilbar und jeder einzelne ist aufgefordert, seinen Beitrag zu leisten.

 

Zur Verantwortung Österreichs kann man konkreter werden, weil wir alle schließlich ein Teil davon sind. Was wäre in der jetzigen Situation das Beste für uns und die Welt?

Die Chancen, die wir heute haben, sind so groß, wie noch nie in der Menschheitsgeschichte. Noch nie waren die Gestaltungsmöglichkeiten und das Wissen des Menschen so gewaltig groß, noch nie haben wir soviel überblickt. Die Welt hat schon jetzt Nahrung für 12 Milliarden Menschen (trotzdem verhungern jährlich alleine 3 Millionen Kinder), die Welt hat Platz für rund 500 Milliarden Menschen, wenn wir die Bevölkerungsdichte von Monaco heranziehen (nicht die schlechteste Lebensqualität!) und nur jene Flächen genau so effizient nutzen wie die Monegassen, die wir entweder jetzt schon verbaut haben oder Ödland sind. Darüber hinaus können wir jeden Platz der Welt innerhalb von Stunden erreichen, damit gibt es im Grunde keine Ausreden für unterlassene Hilfeleistung bzw. Know-How Transfer.

Ich denke, dass jeder Österreicher, aufgrund seiner Lebenssituation und Kapazitäten in der Lage ist, einen „Not-wendenden“ Einsatz (Zeit, finanzielle Mittel) zu leisten.

Österreich allein kann die Welt nicht retten, aber wie jeder einzelne Menschen können wir auch als Gemeinschaft ein gutes Beispiel abgeben und (vielleicht) damit die „Welt mitretten“. Wir können womöglich andere Länder von dem eingeschlagenen Weg überzeugen. Aber zunächst können wir nur in Österreich beginnen, weil wir hier eine unmittelbare Veränderungsmöglichkeit als Gemeinschaft haben.

 

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Fragen an V. E. Frankl und ein Antwortversuch von Mag. Birgitt Hammerl

 

Es gäbe viele Fragen die ich stellen könnte.

Beginnend über Fragen in meiner Familie, bis hin zu den großen Weltfragen.

Warum gibt es im Moment so viele Staatsmänner (sogar in den USA), die gefährlich für ihr eigenes Volk und die Welt sind?

Warum gibt es den Klimawandel?

Warum lässt Gott so viele Kriege zu?

Warum funktioniert unsere Schule nicht?

 

Warum?….

 

Jedoch sehe ich da gleich den Herrn Dr. V. Frankl streng fragen:

„Meine Damen und Herren, haben Sie in den Vorlesungen nicht zugehört?

Nicht Sie haben zu fragen, sondern das Leben stellt die Fragen.

Sie haben auf die Fragen des Lebens zu antworten!“

 

D.h. Ich habe im Rahmen meiner Möglichkeiten zu antworten, so dass es das Beste für mich ist und für alle anderen.

 

Ich könnte Herrn Dr. V. Frankl fragen, ob er Zeit hätte, mit mir in meinem Freiraum Spazieren zu gehen, um Möglichkeiten anzusehen, abzuwägen und dann könnte ich das Bestmögliche für mich und alle anderen aussuchen.

 

Ich kann Herrn Dr. V. Frankl auch nicht fragen, was macht Sinn?

Weil der Sinn liegt in der Welt, niemand macht den Sinn. Entweder hat etwas Sinn, oder es ist Unsinn.

 

Das Geniale an den Thesen von Dr. V. Frankl ist, dass er Menschheitswissen offen gelegt hat, dass er Lebensweisheiten bewusst gemacht hat, dass er aufzeigt, dass alles in den Händen jedes einzelnen Menschen liegt, ob sein Leben glückt, oder nicht glückt. Jeder kann selbst entscheiden. Trotz Leid, trotz Unglück kann Leben gelingen. Wenn ich mich dafür entscheide, wenn ich will. Das Gewissen hilft mir das Richtige zu tun. In Freiheit und Verantwortung.

 

Ich bin frei und nicht abhängig von einem Therapeuten, ich bin frei und nicht abhängig von meinem Charakter, den Lebensumständen, den Meinungen von anderen. Wenn ich logisch weiter denke, brauche ich Herrn Dr. Frankl keine wichtige Frage zu stellen, weil für mein Leben, für unser Leben, jetzt und hier in der Welt bin ich verantwortlich und jeder einzelne derzeit lebende Mensch.

 

Ich bin ein Puzzlestein in der Welt.

 

Wenn ich achtsam durchs Leben gehe in Freiheit (kein Reduktionismus des Menschen auf Triebe, Milieu, Charakter,….)  und Verantwortung, auf mein Gewissen hörend, so gelingt das Leben.

 

Danke, Herr Dr. V. Frankl, dass ich Ihre Thesen kennen lernen durfte.

 

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Frage an V. E. Frankl und ein Antwortversuch von Elisabeth Mellauner, Dipl. Päd.

 

Welche Beratungsstellen würden Sie heute initiieren?

 

Herr Frankl wir brauchen Sie wieder. Sie haben vor Jahrzehnten sehr hilfreiche Beratungsstellen gegründet und so verhindert, dass sich Jugendliche das Leben genommen haben.

Wir brauchen Sie jetzt wieder dringend:
Wir brauchen Beratungszentren für SchulabrecherInnen, für unbegleitete Jugendliche aus den Kriegsländern, orientierungslose Jugendliche, Cybermobbing-Opfer, sowie für alle Suchtgefährdungen, denen in Ermangelung von Sinnperspektiven die Kinder in unserer Gesellschaft besonders ausgesetzt sind.

Gewinnen  wir doch logopädagogisch geschulte Personen dafür, dass sie Menschen zurückholen ins System, ihnen wieder sinnstiftende Aufgaben entlocken, ihre Talente aufpolieren und ihnen ihre Einmaligkeit, Einzigartigkeit und Unersetzbarkeit bewusst machen.